08-8 Interview

Nachgefragt auf Hawaii

„Hoffen natürlich, dass der Spuk bald vorbei ist“

igoplaces.de

Im November soll der Travel Ban für Europäer endlich enden. Über die angekündigte Öffnung der Grenzen und die Corona-Pandemie in den Vereinigten Staaten hat USA ENTDECKEN mit Jörg Michel gesprochen. Der erfahrene Auslandskorrespondent und Reisejournalist lebt auf der Insel Hawaii und in British Columbia (Kanada). Er schreibt regelmäßig für die Magazine 360° USA und 360° Kanada. In Kürze erscheint sein neues Buch „Alberta - 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade".


Wie wurde in den USA und speziell auf Hawaii die angekündigte Aufhebung des Travel Ban für November aufgenommen?

 

 

Jörg Michel: Die Tourismusbranche in den USA ist natürlich erleichtert. Auch für viele Ausländer, die in den USA leben, war dieser Schritt überfällig. Viele konnten wegen des Einreiseverbots ihre Verwandten in Europa eineinhalb Jahre lang nicht besuchen. Auch ich konnte von Hawaii nicht nach Deutschland reisen, weil ich befürchten musste, dann nicht in die USA zurückzukommen. Auf Hawaii selbst hat man die Grenzöffnung erfreut zu Kenntnis genommen, wobei man auch sagen muss, dass der Tourismus aus Europa hier keine so große Rolle spielt. Der Großteil der internationalen Besucher auf Hawaii kommt aus Kanada und Asien, und aus diesen Ländern sind Reisen schon länger wieder möglich.


Welche Hoffnungen und Befürchtungen verbinden die US-Amerikaner damit, dass Europäer wieder einreisen können?

 

Jörg Michel: Ich glaube, die meisten Amerikaner sind so mit ihren eigenen Dingen beschäftigt, dass sie die Grenzöffnung eher nur am Rande wahrgenommen haben. Die Medien haben natürlich darüber berichtet, aber mehr unter innenpolitischen Gesichtspunkten. In den USA sind ja deutlich mehr Menschen ungeimpft als in Europa, und viele ungeimpfte Amerikaner befürchten weitere Einschränkungen. Dass ausländische Touristen jetzt nur mit Impfung in die USA einreisen dürfen, haben manche als ein Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, so nach dem Motto: Trifft es uns womöglich als nächstes? In der Reiseindustrie selbst freut man sich natürlich über das zusätzliche Geschäft, das die europäischen Touristen bringen. Insbesondere in den US-Großstädten leiden viele Anbieter und Hotels noch immer stark unter den Folgen der Pandemie. In den Sun-and-Beach Destinationen und Resorts sieht es dagegen besser aus. Viele Amerikaner konnten lange nicht ins Ausland reisen und haben ihre ausgefallenen Urlaube in den vergangenen Monaten im eigenen Land nachgeholt, beispielsweise in Florida, Arizona oder auch Hawaii. Hier brummt das Tourismus-Geschäft wieder, zum Teil sind die Preise für Hotels oder Mietwagen im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit erheblich gestiegen. Auf Hawaii muss man bisweilen sogar froh sein, überhaupt einen Mietwagen oder ein schönes Airbnb zu kriegen, so hoch ist die Nachfrage.

 

 

Welche Erwartungen haben die Amerikaner hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie?

 

Jörg Michel:  Wir alle hoffen natürlich, dass der Spuk bald endgültig vorbei ist. Wobei man sagen muss, dass die Pandemie in den USA vielerorts anders diskutiert wird als in Europa oder Kanada. In manchen Regionen, vor allem im Süden und Westen des Landes, gibt es im Alltag kaum noch Einschränkungen. Manche Staaten verbieten sogar explizit jedwede Nachteile für Ungeimpfte. In den USA setzt man stärker auf die Eigenverantwortung des Einzelnen, weniger auf Vorschriften des Staates. Das hat seinen Preis, denn in vielen Regionen der USA sind die Inzidenzen traditionell höher als in Europa. Das Ansteckungsrisiko ist entsprechend größer. Auf der Insel Hawaii Island, auf der ich zurzeit bin, lagen die Ansteckungsraten im September bis zu sechsmal über denen in Deutschland. Europäischen Touristen rate ich, sich von den laxen Vorschriften nicht einlullen zu lassen. Vorsicht ist einstweilen weiter angebracht.

 

Wie gut hat Hawaii die Pandemie gemeistert? 

 

Jörg Michel: Hawaii ist einer der geografisch isoliertesten Orte der Welt. Das hat die Inseln lange vor den schlimmsten Folgen der Pandemie geschützt. Zwischen März und Oktober 2020 war der Bundesstaat im Shutdown, die Grenzen waren geschlossen und es gab praktisch keinen Tourismus. Danach wurden die strengsten Einreisevorschriften der USA eingeführt. Selbst Amerikaner durften lange nur dann vom Festland auf die Inseln reisen, wenn sie vor Abflug negativ getestet wurden. Mittlerweile entfällt diese Testpflicht für vollständig Geimpfte. Bis zum Sommer lag Hawaii bei den Inzidenzen daher stets am unteren Ende aller US-Bundesstaaten. Im August und September allerdings wurde auch Hawaii voll von der Delta-Welle erfasst. Viele Krankenhäuser waren an ihrer Kapazitätsgrenze und der Gouverneur bat Reisende, den Inseln einstweilen fern zu bleiben. Mittlerweile hat sich die Situation aber wieder etwas entspannt, auch dank der hohen Impfquote. In Hawaii sind knapp 70 Prozent aller Einwohner vollständig geimpft - das ist viel für amerikanische Verhältnisse. 


Inwieweit hat sich Hawaii durch Corona verändert? Wie ist die Stimmung aktuell?

 

Jörg Michel: Hawaii ist ökonomisch vom Tourismus abhängig, insofern war der Lockdown ein harter Schlag. Seit Corona diskutiert man auf Hawaii daher wieder einmal, die Wirtschaft zu diversifizieren. Bislang allerdings nur mit geringem Erfolg. Für viele Hawaiianer ist es im Alltag ein echter Spagat: Einerseits leben sie vom Tourismus, andererseits stehen sie diesem sehr kritisch gegenüber. Man muss sich die Zahlen mal vor Augen führen: In guten Jahren besuchen bis zu zehn Millionen Touristen Hawaii, das sind sechsmal mehr, als das Archipel Einwohner hat. Steigende Preise, hohe Lebenshaltungskosten, Wohnungsnot und ökologische Probleme sind die Folge. Viele Hawaiianer, insbesondere aus der Urbevölkerung, fühlen sich mittlerweile als Fremde in ihrem eigenen Land und viele würden die Zahl der Besucher am liebsten radikal herunterfahren. Das Problem allerdings ist: Sie können es sich nicht leisten. Corona hat den Hawaiianern all diese Probleme wie in einem Brennglas vor Augen geführt. Ob es Konsequenzen gibt? Die Zeit wird es zeigen...



Jörg Michel lebt in British Columbia und auf der Insel Hawaii und berichtet von dort als Auslandskorrespondent und Reisejournalist. Im 360-Grad-Verlag hat er zwei Reiseführer veröffentlicht: „British Columbia – 50 Highlights abseits der ausgetretenen Pfade“ sowie „Alberta - 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade“.

 

Im Internet ist er zu finden unter www.joergmichel.ca und www.joerghawaii.com

Wer sich für seinen Alltag in Kanada und Hawaii interessiert, der kann ihm auf seine Social-Media-Kanälen folgen, unter anderem auf Facebook zu Hawaii oder hier zu Kanada auf Facebook.